Damit steht heute eine Wirtschaftsform im Zentrum, die momentan in Brasilien besonders zu florieren scheint. Bereits in der ersten Amtsperiode des regierenden Praesidenten Lula da Silva wurde das Staatssekretariat fuer solidarischer Oekonomie eingerichtet, das formell im Arbeitsministerium angesiedelt ist. Dieses widmet sich seither dem Genossenschaftswesen und verschiedensten sozialen Kooperationsformen, bei denen der wachsenden Ungleichheit und Marginalisierung innerhalb Brasiliens konkrete Ansatze einer anderen Wirtschaft und damit auch einer anderen Welt im Sinne der Weltsozialforumsbewegung entgegengesetzt werden.
Es handelt sich dabei keineswegs um um ein neues Phaenomen. Erste Ansaetze solidarischen Wirtschaftens finden sich bereits Ende des 19.Jahrhunderts. Waehrend der 1960er und 70er Jahre bluehten dann wiederum aehnliche Wirtschaftsformen, die anstatt auf Wettbewerb und ungeiche Verteilung der Fruechte der Arbeit auf faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit bauten. Die Prinzipien solidarischen Wirtschaftens lassen sich knapp auf folgende Elemente reduzieren: Kooperation statt Wettbewerb; Aufhebung der Trennung zwischen Kapital und Arbeit (alle ArbeiterInnen sind gleichzeitig auch EigentuemerInnen) ; Demokratische Entscheidungsstrukturen anstatt starrer Hierarchien; und nicht zuletzt eine solidarische Einbettung der verschiedenen Initiativen in die soziale und oekonomische Umgebung (zB. Einbindung anderer Kooperativen, Nachbarschaftsvereine und Familien). Unter dem Sammelbegriff solidarische Oekonomie werden heute Kooperativen verschiedenster Groesse, unterschiedliche Stadtteilnetzwerke, die zumeist auf die Schaffung von Einkommensmoeglichkeiten und Ermoeglichung politischer Bildung ausgerichtet sind, oder etwa Produktionsnetzwerke, die unterschiedliche Produktionsstufen einer bestimmten Ware zu verbinden versuchen, verstanden. Auch in Oesterreich gibt es hierzu zahlreiche Beispiele, und eine wachsende Bewegung. Im Moment etwa wird zur Beteiligung an einem Kongress im Febuar 2009 aufgerufen, der die Vielfalt und Groesse der Bewegung darstellen moechte. Naehere Informationen dazu gibt es auf http://www.solidarische-oekonomie.at/.
Jetzt aber genug der Hintergruende und auf in die brasilianische Praxis...
Nach dem Fruehstueck machten wir uns also auf zur COOPREC (Cooperativa de Reciclagem de Lixo) im Stadtteil Jardim Conquista, die mittlerweile aus einem Zentrum fuer industrielle Verarbeitung und einem Zentrum fuer Kunsthandwerk (das Bild unten zeigt eines der Produkte der Kunstsparte de Kooperative) besteht. Es handelt sich dabei um eine Art Vorzeigeprojekt der solidarischen Oekonomie, das 1998 gegruendet wurde und fuer ca. 35 direkt und ca. 200 indirekt beteiligte Menschen eine wichtige Einkommensquelle darstellt. Wir waren an dem Tag nicht die einzigen BesucherInnen. Auch ein Kamerateam eines lokalen PSOL-Politikers war zu Besuch, das Material fuer dessen Umweltkampagne sammelte. Wir wurden von Luzia (Mitglied im Fuehrungsgemium der Kooperative und des regionalen Forums fuer solidarische Oekonomie) und Deusdete (ebenfalls im Koordinations- und Fuehrungsgremium des regionalen Forums fuer solidarische Oekonomie) empfangen und
Im industriellen Teil der Kooperative werden hauptsaechlich Altpapier und Plastik verarbeitet und daraus einerseits bitumierte Dach-Wellpappe und andererseits Plastikschlaeuche hergestellt. Gegruendet wurde sie auf Initiative der Universidade Cátolica, die ihr in einem Art Pachtsystem Maschinen sowie Grund und Gebaeude zur Verfuegung stellte. Die Kooperative widmet sich neben der Muellsammlung und -verarbeitung aber auch der Aufklaerungsarbeit und Bewusstseinsbildung in Recycling- und Umweltfragen in Goiânia. Die GenossInnen sind in der Kooperative sozialversichert und im Viertel sehr gut integriert. Die wirtschaftlichen Probleme kommen zum Grossteil von der schlechten Zahlungsmoral der Stadtverwaltung, fuer die die Kooperative in einigen Stadtteilen die Muellabfuhr uebernimmt, und von der Wettbewerbsnachteile der Wellpappe auf den nationalen Markt. Auch das politische Bewusstsein der GenossInnen ist teilweise eher schwach ausgepraegt, was zu einer relativ grossen Fluktuationsrate fuehrt. Am aussichtsreichsten erscheint momentan sicherlich der Kunsthandwerkszweig, der uns auch am meisten beeindruckt hat. Hier gibt es eine Kooperation mit der Designklasse der Universidade Católica, die schon nationales Ansehen und Preise gewonnen hat (Artikel auf Portugiesich: http://www.sebraego.com.br/site/site.do?idArtigo=2817).
Nach diesem spannenden Besuch ging es dann erstmal zum heissgeliebten "por kilo"-restaurante ums Eck von der CAJU bevor wir am Nachmittag unsere Eindruecke und aktuelle Entwicklungen der solidarischen Oekonomie diskutierten. Besonders die letzten Ereignisse im brasilianischen Forum fuer solidarische Oekonomie (http://www.fbes.org.br/) scheinen hier spannend zu sein. So versucht dieses momentan sich von der institutionalisierten Politik unabhaengig zu machen, wovon die finanzielle Absicherung der Bewegung stark betroffen ist. Eine weitere Herausforderung ist Vermarktung solidaroekonomischer Produkte, die zunehmend in ein Netz des fairen und ethischen Handels einzugliedern versucht werden.
Nach so viel Diskussionen waren wir dann am Abend alle relativ geschafft und lieszen den Tag wieder mal gemuetlich im Garten des Hauses ausklingen. Viva Brasil! Outra economia acontece!
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