Montag, 25. August 2008

ein spannendes Thema...

Heute ging's ans Eingemachte. "Kirche in Brasilien. Kirche in Österreich" stand auf unserem Vormittagsprogramm, wobei die österreichische Kirche aufgrund der interessanten Diskussionen über Brasilien auf der Strecke blieb. Ein andermal dann... Unsere hochkompetente und äußerst charismatische Fachfrau Janira (Studium Geschichte, Theologie, Koordinatorin der theologischen Laien hier im Bundesstaat) versuchte, uns sowohl über den "Boom" der Pfingstkirchen sowie über die aktuelle Situation der katholischen Kirche in Brasilien ins Bilde zu rücken... Um zumindest annähernd ein Gefühl für die Dimensionen in diesem Land zu bekommen, wurden uns zuerst ein paar "Hardfacts" übermittelt: im "größten katholischen Land der Welt" bekennen sich 75% der Menschen zum katholischen Glauben, Tendenz: abnehmend. Allerdings, und diese Zahl kann allgemein für den südamerikanischen Kontinent als Gradmesser gelten, geben 98% der BrasilianerInnen an, dass sie an einen Gott, welcher Natur auch immer, glauben. Dies allein lässt schon erahnen, dass "Glaube" ein weiter verbreitetes und vor allem unmittelbarer mit dem Leben verbundenes Phänomen als in unseren Breiten darstellt...

Wir alle haben in diesen fast drei Wochen hier in Brasilien schon öfter über den rapiden Aufstieg der Pfingstkirchen das eine oder andere gehört... aber Janira überraschte uns heute mit ihren Darstellungen aufs Neue... Die sogenannten "Igrejas Pentecostais" gingen aus der Evangelischen Kirche hervor (es gibt schon auch noch die traditionelle Version der ev. Kirche, jedoch eher schwach ausgeprägt) und stützen sich ganz stark auf die sogennante "Teologia da Prosperidade". Die Basis dafür bildet die bekannte biblische Figur des "Jahwe", des "Ich bin da - Gottes". Ein Gott, der mit den Menschen ist, der gibt. Nachdem Gott so gut zu den Menschen ist, wird erwartet, dass ihm diese auch einen gewissen Anteil "zurückgeben". Dieser Anteil ist wunderbar klar definiert - zumindest 10% des monatlichen Einkommens sollten es schon sein. Umso mehr, umso besser, denn dies ist natürlich auch ein Indikator dafür, wie eng man sich mit der Gemeinde, mit dem Glauben verbunden fühlt, wie stark man schon "vom Hl. Geist durchdrungen" ist. In den Gottesdiensten, auch "culto" genannt, geht es dabei oft wild her: der Prediger, meist ein Mann mit mangelnder theologischer Ausbildung, wettert ins Mikrofon, ob nicht jemand 100 Reais (ca. 40 Euro, ein Viertel des Mindestlohns in Brasilien!) für Gott übrig hätte, Dämonen werden ausgetrieben (und fast ausschließlich bei Frauen, denn das Schlechte dieser Welt liegt ja doch im bösen Weibe...die Austreiber sind natürlich Männer, was unterschwellig die machistischen Strukturen bestärkt und am Leben erhält), es wird in Stimmen geredet...

Eine der größten, erfolgreichen Pfingstkirchen in Brasilien ist heute die "Igreja Universal do Reino do Deus", welche über einen eigenen Fernsehsender verfügt, der zu allen möglichen und unmöglichen Tages- und Nachtzeiten "Lebenshilfe", Seifenopern, "Glaubens-Shows" (das ist kein Schmäh - es heißt wirklich "Show de Fe"!) und Ähnliches sendet... Eine der wirkungsvollen Werkzeuge dieser Pfingstkirchen, laut Janira, stellen u.a. die die Lebensrealitäten der einfachen Menschen wiederspiegelnde Sprache sowie die Nähe zu den Volksreligionen dar. Beides hat die katholische Kirche laut Janira bereits viel zu lange vernachlässigt...

Einen großen Teil der Diskussion verbrachten wir auch mit dem ur-lateinamerikanischen Thema "Befreiungstheologie" - gibt es sie noch? Warum hat sie an Bedeutung verloren? Was steckt hinter der Theorie, dass die von den USA ausgehenden Pfingstkirchen über Lateinamerika "ausgebreitet" werden, um im "Hinterhof" für Ruhe und Ordnung zu sorgen und vorallem um den politisch-animierenden Geist der Befreiungstheologie zu ersticken? Und: warum braucht man eigentlich einen Gott, der befreit, wenn die Menschen dies doch auch selbst tun können/sollen? ... Janira zeigte sich auch in diesem unfangreichen Gebiet äußerst sattelfest und vorallem bemerkten wir eine gewisse Leidenschaft für und Praxisverbundenheit mit diesem spannenden Thema. Sie spannte den Bogen von den 1960er Jahren, als alles begann, über die folgenden Dekaden bis heute.
Viele der großen Persönlichkeiten und Kämpfernaturen innerhalb der "Teologia de Libertacao" sind mittlerweile verstorben, die heutigen Bischöfe haben oft nicht mehr den "nötigen Biss", es fehlt ihnen an Verbundenheit mit der katholischen Laienbewegung, mit den Basisgemeinden und an jeglicher Nähe zu den sozialen Bewegungen. Bischöfe, welche sich für die arme Bevölkerung, wenn ich das einmal so ganz schrecklich pauschal ausdrücken darf, stark machten, wurden durch "Rom-treuere Individuen" ersetzt, Seminarien wurden geschlossen usw. Die brasilianische Bischofskonferenz befindet sich heute zwischen den Fronten - mancherorts geht es sehr Vatikan-treu zu, mancherorts ist die "Igreja nativa", die ursprüngliche Kirche der Schwarzen, Armen, Marginalisierten, Indigenen,... weiterhin sehr stark - interessanterweise ist in diesen Gemeinden, wo dieser integrative, politische, engagierte und autonome Geist weht, keine so hohe Abwanderung zu den Pfingstkirchen zu verzeichnen...

Animiert, beeindruckt und mit noch vielen offenen Fragen begaben wir uns verspätet zum Mittagessen... und das, wo wir doch auch schon die obligatorische Kaffeepause am Vormittag aufgrund der spannenden Diskussion ausfallen ließen...

Um 14.30 Uhr ging's weiter - mit einer wohltuenden Abwechslung: bei einem Tanzworkshop hatten wir Gelegenheit, uns zu afrikanischen Rythmen und Sambaklängen auszutoben und das volle Hirn zu entlüften.... ahhhhh..... herrlich! (wenn nur dieser Sambaschritt, der bei unseren lieben Brasileiros einfach so wunderbar leicht aussieht und wie angeboren wirkt, nicht so schwer wäre...)

Der Tag klang im Kino aus...Den Film "Era uma vez" (Es war einmal) könnte man als Romeo und Julia in einer Favela von Rio de Janeiro bezeichnen... höchst dramatisch... begleitet von dem etwas bitteren Geschmack, dass dies einen Teil der brasilianischen Realität ausmacht...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

So, ich glaube, ich bin die erste, die einmal einen Kommentar schreibt... Also: Das hat mich jetzt doch am meisten interessiert, diese Sache mit den Pfingstkirchen und der Befreiungstheologie... - Ansonsten frage ich mich, ob dieser Blog für Euch eigentlich so etwas wie eine Hausaufgabe darstellt? Gibt es eine Dokumentationspflicht? Wenn man nicht jeden Tag reinschaut, kommt man ja kaum hinterher mit dem Lesen!!! Auf der anderen Seite: Wahrscheinlich ist es für Euch auch gut, wenn Ihr Euch im Nachhinein nochmal anschauen könnt, wann Ihr was gemacht habt, angesichts der Flut von Informationen... Also: Ich beneide Euch auf jeden Fall um diese spannende Reise! Und wünsche Euch für die letzte Woche noch alles Gute!
Liebe Grüße von Mary aus Graz

Anonym hat gesagt…

Hallo liebe Leute in Brasilien,

ich bin sehr positiv überrascht, dass ihr in Eurem Blog nicht von den evangelikalen "Sekten", sondern von den Pfingstkirchen schreibt. So sehr die "Freikirchen", wie sie im Deutschen ja auch heißen, durchaus sektoide Elemente enthalten, so sollte man doch auch festhalten, dass es selbst innerhalb der katholischen Kirche durchaus Bewegungen gibt, die eine natürliche Nähe zu den Worships der Freikirchen aufweisen. Ich denke da jetzt an die ganze charismatische Erneuerung ab den 70er Jahren und ja, auch dort gibt es durchaus das Gebet in fremden Sprachen. By the way, Pfingstkirchen hin oder her, genau dieses Phänomen ist auch beim allerersten Pfingstfest in der Geschichte aufgetreten.
Also super, dass es hier, bei allen kritischen Anmerkungen, zu keinen Pauschalisierungen gekommen ist und meinen Kommentar nur mal so zur Ergänzung. LG, Mat